The Real Peter Pan
Seit ich ein kleiner
Junge war, habe ich davon geträumt,
die
bestverkaufte Platte aller
Zeiten zu machen.
Michael Jackson
Die
LP The Jacksons kommt auf Platz 36 der Pop Charts - auch nicht besser als das
letzte Motown-Album. Die Single-Auskoppelung Enjoy Yourself bringt es auf Platz 6. Der Kampf gegen den Abstieg scheint
gewonnen. Die Epoche The Jacksons ist
aber weniger wegen ihrer Plattenaufnahmen bemerkenswert, sondern weil Michael
nun für Jahre wieder auf die Rolle als Frontman in seiner Familienband zurückgestutzt
ist. Er ist sogar viel tiefer in den Jackson-Clan verstrickt als seine großen
Brüder! Die hatten alle nur ihren achtzehnten Geburtstag abgewartet, um zu
heiraten und das heimische Nest in der Hayvenhurst Alley zu flüchten. Überhaupt
hatte das Bild der glücklichen Musterfamilie, das nach außen noch heil war,
nach innen tiefe Risse bekommen. Katherine, die bei den Mißhandlungen ihrer
Kinder durch Joe weggesehen hatte, mochte seine ständige eheliche Untreue nun
nicht länger hinnehmen. Im Lauf der Jahre sollte sie wiederholt die
Scheidungsklage einreichen (um sie freilich immer wieder zurückzuziehen).
Und
schließlich wuchsen bei den Brüdern Groll und Eifersucht auf den Familienstar,
der sie alle in den Schatten stellte. Michael mag davon nichts gemerkt haben.
Schon als er sang- und klanglos Jermaine von der Stelle des Lead-Sängers verdrängt
hatte, wird das nicht ohne stille Verbitterung des Älteren geschehen sein. Aber
Michael war vom Kampf mit seinen durch Joe kunstvoll geschürten Selbstzweifeln
voll beansprucht. Daß ihn jemand beneiden könnte, fiel ihm nicht ein. Im Streit
mit Motown und beim Konflikt um die TV-Serie hatte sich erwiesen, daß er nicht
nur der größere Künstler, sondern auch der bessere businessman war. Ohne ihn war das Familienunternehmen
aufgeschmissen. Eigentlich konnte er dem Vater und den Brüdern seine
Bedingungen diktieren. Das wußten sie. Aber er wußte es nicht, wie ein Freund
der Familie erzählt, „jedenfalls nicht damals. Joe verstand es, Michael unten
zu halten, und die Brüder machten mit.“
Das
Jahr 1977 bringt eine Wende im Leben von Michael Jackson. Menschlich noch mehr als
beruflich. Man bietet ihm eine Rolle in dem Hollywoodstreifen The Wiz an. Es ist die „schwarze“
Version eines Broadway-Musicals nach dem Kinderbuch-Klassiker The Wizard Of Oz, Der Zauberer von Oz.
Es geht um Dorothy, die sich verlaufen hat und den Zauberer von Oz sucht, daß
er ihr den Heimweg zeigt. Sie trifft unterwegs den Mann aus Blech, der auch den
Zauberer sucht - weil er ein Herz braucht; und den feigen Löwen, der gerne
etwas Mut hätte. Und sie trifft die Vogelscheuche, die von den Krähen verspottet
wird, weil sie kein Hirn hat. Die Vogelscheuche ist nicht mit Stroh, sondern
mit Zeitungspapier gefüllt - das heißt, mit Zitaten für jede Gelegenheit. Die
arme Vorgelscheuche hat für alles und jeden die passende Antwort parat - nur
leider weiß sie nie, zu welcher Frage sie gehört; sie bräuchte eben ein
Gehirn.
The Wiz war eine aufwendige
Produktion. Dreißig Millionen Dollar soll der Starregisseur Sidney Lumet
verbraten haben. Für ein namhaftes Set: Die Dorothy spielte keine andere als
Diana Ross, der Zauberer war Richard Pryor. Dennoch war der Film ein Desaster.
Das Publikum blieb weg, die Kritik verriß ihn: „Eine Märchen von der Zartheit
einer Nilpferd-Herde“. Nur die Vogelscheuche bekam gute Kritiken. Sie ahnen es,
lieber Leser: Es war Michael Jackson.
Die
Rolle hat ihn dauerhaft geprägt. Die Vogelscheuche machte ihm die Lücken in
seiner Bildung bewußt. Er hatte griechische Philosophen zu zitieren, deren
Namen er nicht korrekt aussprechen konnte. Und um die verstörte Vogelscheuche
noch weiter zu verhöhnen, gaben die Krähen ihr ein Lied zu singen, dessen Text
sie nicht verstand, You Can't Win -
Du kannst nicht gewinnen. Ach, das kam Michael bekannt vor! „Demütigungen und
Hilflosigkeit - und daß es Leute gibt, die einen nicht direkt niederhalten,
sondern indirekt dafür sorgen, daß man an sich zweifelt und sich so selber
niederhät.“ Die Vogelscheuche war die Rolle seines (bisherigen) Lebens.
Vor
jedem Drehtermin saß er stundenlang beim Maskenbildner. Tatsächlich ist er in
dem Streifen gar nicht zu erkennen. Verkleiden und Maskieren - noch eine
Kinderleidenschaft, für die der kleine Michael nie Zeit hatte. Man muß nicht
Psychologe sein: Jede kluge Mutter weiß, wie sehr ihr Kind erst „es selbst“
wird, wenn es sich - als einen andern ausgeben kann. Für Michael Jackson war
das ein spätes und umso heftigeres Erlebnis. Jetzt ging er in seiner
kiloschweren Verkleidung nachhause, tanzte stundenlang vor dem Spiegel und
tauchte ganz ein in seine Rolle. Was andere im Kinderspiel ganz nebenher so
mitnehmen, erlebte Michael Jackson als späte und darum dramatische Erleuchtung:
Man muß erst ein anderer werden, um sich zu „finden“, und je öfter, umso
besser.
Und
dann traf er bei den Dreharbeiten einen, der sein Leben prägen sollte. Die
Filmmusik - Michael singt das Lied Ease
On Down The Road - stammt von dem Jazzer, Producer und Hollywoodkomponisten
Quincy Jones. Wir werden noch von ihm hören.
Während
ihn die Vogelscheuche seiner künstlerischen Bestimmung näherbringt, entfremdet
sie ihn weiter von seiner Familie. Jeder solistische Erfolg von Michael war Joe
und den Brüdern verdächtig. Aber dieser ganz besonders. Der Produzent des Films
war nämlich niemand anderes als Motown. Daß Berry Gordy ausgerechnet Michael für
die Rolle anwerben ließ, deuteten sie messerscharf als Versuch, einen Keil in
ihren Clan zu treiben. Hatte nicht Michael bis zum Schluß eine Verständigung
mit seinem väterlichen Freund gesucht ? Doch The Wiz war ein Flop, und Michael Jackson trug die Episode nicht
viel ein - außer dem Ruf, mehr Talente zu haben als nur singen und tanzen.
Auch
daß er bei den Dreharbeiten (mit neunzehn Jahren!) erstmals allein - das heißt
ohne Vater und Mutter, aber in Begleitung der älteren Schwester LaToya - viele
Wochen in New York verbrachte, war ein Einschnitt. Binnen kurzem mauserte sich
der grüne Junge zum Disco-Löwen. Sein Stammlokal war damals das Studio 54, wo alles verkehrte, was auf
sich hielt. Michael war beeindruckt von der Energie jener Schönen der Nacht,
die niemals müde wurden. Was das für ein weißes Zeugs war, das sie durch
haarfeine Glasröhrchen schnupften, das war ihm, nach glaubhaftem Bekunden der
großen Schwester, völlig unbekannt. Und als er in Begleitung eines ülteren
Kollegen über zweie stolperte, die sich in einer Ecke gerade paarten, zeigte er
sich gar nicht schockiert, sondern interessiert und neugierig.
Besonders
vertraut war der jugendliche Star nicht mit den Dingen des Lebens, woher auch?
Bei den nächtlichen Eskapaden, die nicht nur sein Vater, sondern bald auch
seine älteren Brder veranstalteten, wann immer sie auf Tournee
waren, hatte er nie mitgemacht. Zuerst nicht, weil er „zu klein dafür“ war.
Aber später drängten sie ihn. Er wollte nicht. Die lockeren Sitten seiner Brüder,
aber vor allem die Treulosigkeit des Vaters gegen die Mutter, hatten ihn immer
abgestoßen. Er stand ganz im Bann der Zeugen Jehovas. Freilich war cute little Michael schon früh der
Schwarm aller Mädchen. Und wenn man seinen Brüdern glauben darf, hat er es sich
gern gefallen lassen. „Er war regelrecht hinter ihnen her“, erzählt Tito. Aber
als er in die Jahre kam, wo solche Dinge ernster werden, ging er ihnen aus dem
Weg.
Während
der Arbeiten an The Wiz begleitet
Michael seinen Vater zu einem denkwürdigen Gespr„ch mit Ron Alexenburg, dem
Chef von Epic. Die Aufnahmen zu ihrem neuen Album Goin' Places waren gerade abgeschlossen, und als ob sie dessen
sang- und klanglosen Untergang in den Charts vorweggeahnt hätten, wollten sie
sich beim Boß beschweren: Wieder hatten sie nur zwei eigene Songs beisteuern dürfen,
und die Vormundschaft von Huff und Gamble engte sie ein. Dafür waren sie doch
nicht von Motown zu Epic gewechselt! Joe und Michael pokerten. „Epic hat sein
Bestes gegeben, aber das ist uns nicht gut genug“, sagt Michael. „Wir wollen funkier werden, mit neuen Sounds
experimentieren.“ Wenn man ihnen nicht erlauben würde, das nächste Album ganz
allein zu machen, dann würden sie eben Epic wieder verlassen. Sie müssen bei
Alexenburg sehr energisch aufgetreten sein. Jedenfalls war er von ihrem Elan
und ihrer Zuversicht beeindruckt. Sie wußten ja nicht...! Walter Yetnikoff, der
führende Mann beim Mutterkonzern CBS, war nämlich mit ihren bisherigen
Leistungen nicht zufriedener als sie, und eigentlich hatte er schon
beschlossen, sie aus dem Vertrag wieder auszukaufen. Mit ihrer stürmischen
Einfalt hatten sie Alexenburg für sich gewonnen, und dem gelang es, Yetnikoff
umzustimmen - der seither Michaels treuester Verbündeter bei CBS gewesen ist.
In Unkenntnis, wie die Karten verteilt waren, hatten sie hoch gepokert - und
gewonnen. Das nächste Album durften sie ganz alleine produzieren.
Im
Dezember 1978 erscheint das neue Album, Destiny.
Mit einer Ausnahme sind alle Stücke von den Jacksons gemeinsam verfaßt und
komponiert worden. „Wie sich herausstellte, fiel es mir leicht, Discosongs zu
schreiben.“
Tatsächlich
sind die Rhythmen der neuen Stücke härter, treibender, es klingt alles etwas
entschiedener als bei Disco sonst üblich. Auch die Melodien sind nicht ganz so
beliebig. Aber Michaels Stimme - er singt fast allein, gelegentlich unterstützt
von Jackie, die andern nur im Off - klingt wieder nervös, fiebrig, unentschlossen.
Als ob er sich damit abgefunden hätte, daß Discomusik nicht angehört, sondern
abgetanzt wird.
Destiny kommt in den Black
Charts auf den dritten Platz, und klettert in den Pop Charts immerhin auf Platz
12. Es ist geschafft! Sie haben die Talsohle durchschritten, der Abstieg findet
nicht statt. Und sie haben gezeigt, daß sie es aus eigener Kraft können.
Nicht
nur das Selbstbewußtsein der Brüder ist erstarkt. Auch ihr Frontman ahnt nun,
daß er sich was zutrauen kann. Ob er es vielleicht mal allein versuchen sollte?
Er bräuchte Hilfe. „Ich wollte nicht, daß mein Soloalbum wie eine Auskoppelung
von Destiny klang. Der Sound sollte
sich von dem der Jacksons unterscheiden.
Deshalb wollte ich einen außenstehenden Produzenten haben, der keine vorgefaßte
Klangvorstellung mitbrachte.“ Wer kennt die amerikanische Musikindustrie wie
seine Westentasche? Quincy Jones. Er ruft ihn an und fragt, ob er nicht jemand
kennt, der bereit wäre, sein erstes eigenes Soloalbum zu produzieren.
Sie
waren einander schon früher einmal begegnet. Michael war damals zwölf, Sammy
Davis hatte sie bekanntgemacht. Während der Dreharbeiten zu The Wiz hatte „Q“ (wie Insider ihn
nennen) Michael dann von einer ganz unerwarteten Seite kennengelernt. „Mir fiel
seine disziplinierte und hellwache Geistesart auf. Er saß morgens um fünf in
der Maske, und ab sieben wurde gedreht. Er kannte die Texte sämtlicher Rollen
auswendig, jede Zeile. Und er hat nie genörgelt... Ich sah seine unglaubliche
Tiefe und das Musikantentum in ihm, und als er mich anrief und fragte, ob ich
jemanden kenne, der sein Album produzieren will, da sagte ich: Ja; mich.“
Was
tut ein Produzent von Pop-Musik? Da schreibt einer eine Melodie, ein anderer
denkt sich dazu passende Wörter aus. Dann braucht man einen, der das singen
kann. Alles, was sonst noch geschehen muß, bis eine Platte fertig ist, macht
der Produzent. Nicht nur das Technische und Finanzielle. Er orchestriert, wählt
die Klangfarben, sorgt für das Rhythmus-Arrangement, oder besser: Er holt die
Leute ran, die all das machen. Er muß sie nicht nur kennen. Er muáß sie auch
beurteilen können. Und dann muß er sie dazu bringen, es so zu machen, wie er es
sich vorstellt. Wie sich ein Stück am Ende anhört - dafür ist heute, wo alles
nachträglich am Mischpult zusammengesetzt wird, der Produzent viel mehr
verantwortlich, als Liedschreiber und Sänger.
Quincy
Jones kommt aus den Slums von Süd-Chicago und hat bei Count Basie als Trompeter
angefangen. Aber er ist kein autodidaktischer Jazzmusiker geblieben. Als
Filmkomponist hat er eine richtige klassische Musikausbildung absolviert und
sogar am Pariser Konservatorium bei der berühmten Nadia Boulanger studiert. Er
war seit über drei Jahrzehnten im Musikgeschäft und hatte mit Billie Holiday,
Frank Sinatra, Lionel Hampton und Duke Ellington gearbeitet. Er war ein
routinierter Profi mit einem Hang zur Perfektion. Die beiden sollten sich gut
verstehen. Sie waren auf derselben Wellenlänge. Für ein paar Jahre würde Q bei
Michael den verwaisten Platz von Berry Gordy einnehmen - der gütige Vater, der
ihn den realexistierenden Joe vergessen ließ. „Er erinnert mich an den Jungen
in François Truffauts Film L'Enfant
sauvage - geistvoll, aber scheu. Ich fühle mich ein bißchen für ihn
verantwortlich“, sagt Q. „Aber manchmal ist er es, der den Vater spielt.“
Tanzmusik
hatte Q allerdings noch nicht produziert. So bringt er jedenfalls keine alte
Leier mit in das Projekt. Es ist für ihn genauso neu wie für Michael. Von den
Songs, die dieser selbst komponiert hatte, wählt er drei aus. Die andern Stücke
muß er sich anderswo besorgen. Eins von Stevie Wonder (I Can't Help It - von einer nervösen Rhythmik), drei von seinem
Bekannten Rod Temperton, darunter die Titelnummer Off The Wall. Und dann war da noch Girlfriend - ein gefälliges Konfektionsstück, das Paul McCartney
extra für Michael geschrieben hatte: Die beiden hatten sich im Vorjahr durch
Pauls Tochter kennengelernt und angefreundet.
Last,
but not least ein Stück von Tom Bahler, She's
Out Of My Life - inzwischen ein Standard bei Michaels Konzerten.
Insgesamt
muß man Off The Wall noch der Disco-Ära
zurechnen; Michaels Erfolgstitel Don't
Stop 'Til You Get Enough gibt den Ton an, und die andern Texte stehn nicht
nach:
We're
the party people night and day,
livin'
crazy, that's the only way.
So
tonight gotta leave that nine-to-five upon the shelf,
and just ENJOY
YOURSELF...
Aber
es ist gewissermaßen der Paukenschlag zum Abschluß. Die Begleitung ist schlanker
geworden, der Song tritt wieder hervor, der Rhythmus wird komplexer, die Musik
swingt - das hatte es lange nicht mehr gegeben. Disco hatte sich totgelaufen.
Man wollte wieder mehr fürs Ohr. Da kam Off
The Wall gerade recht. Anders ist sein sensationeller Erfolg nicht zu
begreifen. Crossover, Michaels von Motown ererbtes Programm, weist jetzt in die
umgekehrte Richtung: Disco „mit etwas mehr Schwarz“. Aber das ist alles
relativ. (Quincy Jones arrangiert heute Rap-Versionen der Off The Wall-Titel.)
Das
wirklich Neue an diesem ersten eigenen Album ist Michaels Gesang. Er ist
gereift. Ausdrucksvoll hatte er schon als Kind gesungen - so, daß mancher alte
Hase blaß aussah. Doch zuallererst mußte es schön sein. Oder Effekt machen.
Dann, bei The Jacksons, war Schönheit,
scheint's, verpönt. Da war Ausdruck alles. Aber Ausdruck von was? Wer weiß.
Nichts bestimmtes. Irgendwie komisch gemeint. Ein bißchen manieriert. Oder affektiert?
Aber auf Off The Wall singt er wieder
richtig. Ausdrucksstark und schön. She's
Out Of My Life ist eine Bravournummer. Kitsch? Aber ja! Es soll einem das
Wasser in die Augen treiben.
Das
Album kommt im November 1979 heraus und
erreicht Platz drei in den Pop-Charts, in denen es sich anderthalb Jahre
hält, in den Black Charts ist es vier Monate lang die Nummer eins. Ein Erfolg,
mit dem weder Michael noch Q, und schon gar nicht Epic gerechnet hatte. Zwei
Titel - Don't Stop... von Michael und
Rock With You von Temperton - werden
Nummer Eins in den Single-Charts. Und er stellt seinen ersten Rekord auf.
Erstmals kommen vier Single-Auskoppelungen aus derselben LP in die Top Ten! In
nur einem Jahr werden allein in den USA 5 Millionen Alben abgesetzt; nachdem
die Plattenindustrie jahrelang unter der Rezession gelitten hatte, ein warmer
Regen! Nicht nur das Publikum - auch der Handel liebt Michael... Von Off The Wall wurden bis heute gut 15
Millionen Stück verkauft.
Das
Album brachte auch drei Videos hervor, damals ein ganz neues Medium. Bei Don't Stop... und Rock With You profiliert sich Michael erstmals als Tänzer - nicht
mehr nur ein Sänger, der nebenher „auch tanzt“. Aber nicht durch ausgefallene
Schritte tut er sich da hervor, sondern allein durch die Anmut seiner Körpersprache.
(Im dritten Video, She's Out Of My Life,
sitzt er nur reglos auf einem Schemel und schluchzt.)
Das
Plattencover bringt einen neuen Michael. Um zu zeigen, daß er nicht länger der
kleine Bruder der Jackson5 ist, präsentiert er sich als Partylöwe im schwarzen
Smoking mit Fliege (und mit weißen Glitzersocken, die fortan eines seiner
Markenzeichen sind). Er hat allerdings auch - eine neue Nase. Während der Destiny-Konzerttour hatte er beim Tanzen
einen Unfall. Er brach sich das Nasenbein. Die Versuchung lag nahe: Wenn schon
operieren, warum nicht gleich richtig? Das war im Mai 1979. Die Maskerade in The Wiz hatte ihn auf den Geschmack
gebracht.
Weitere
Veränderungen bahnen sich an. Seine Erkrankung an Vitiligo wird unübersehbar. Schon auf älteren Fotos, als er
siebzehn, achtzehn war, sieht man sein Gesicht übersät mit tausend hellen
Punkten, wie verkehrte Sommersprossen. Aber jetzt wird es ernst. Jahrelang
spekulierte die Presse über den immer weißer werdenden Afro-Amerikaner Michael
Jackson. Er lasse sich bleichen, hieß es, um es beim weiáen Publikum leichter
zu haben; er wolle seine Rasse verleugnen, sagten die Black-Power-Aktivisten.
Was war schädlicher fürs Image - die Gerüchte um geheimnisvolle chemische Behan-lungen,
oder das Eingeständnis einer Krankheit? Lange genierte er sich, die Erkrankung zuzugeben.
Schließlich, als er kreidebleich geworden war, erzählte er im Fernsehen von
Vitiligo. Aber da wollte ihm keiner mehr glauben! (Das Jahr 1994 sollte dann zu
Umständen führen, bei denen Michaels Erkrankung staatsanwaltlich beglaubigt
wurde. Darauf hätte er aber wohl lieber verzichtet.)
Der
Große Brockhaus schreibt: „Vitilígo;
Scheckhaut, fleckförmige Depigmentierung [Entfärbung] der sonst unveränderten
Haut; angrenzende Haut meist überpigmentiert, gestörte Melaninbildung; Behandlung
nur kosmetisch.“ [Melanin ist der Farbstoff, der die Haut dunkel macht.] Die
Ursachen sind unbekannt. Pschyrembels
Klinisches Wörterbuch nimmt hormonale oder nervöse Ursachen an, andere
Autoren glauben an erbliche Disposition. Wie dem auch sei - auf den Videos der Bad-Ära ist Michaels Gesichtshaut
auffällig uneben; scarface, „Narbengesicht“
nannten ihn taktvolle Journalisten. Die Vermutungen über Experimente mit
chemischen Bleichmitteln schienen bestätigt. Ja, hätte Michael Jackson einen
andern Beruf gehabt - er hätte sich mit Brockhaus' Auskunft über die ausschließlich
kosmetischen Behandlungsmethoden (d. h. fingerdicke Schminke) zufriedengeben können.
Aber er ist ein Showman. Er hätte dumm sein müssen, um nicht auch radikalere Verfahren
zu versuchen. Die Nachteile scheinen aber die Vorteile zu überwiegen. Seither
kennen wir Michael Jackson also mit fingerdicker Schminke...
Der
überraschende Erfolg, den man dem jugendlichen Oldie von den Jackson5 gar nicht
mehr zugetraut hatte, macht ihn zum Hätschelkind der Klatschpresse und der
Hollywood-Schickeria. Nachdem er einmal Blut geleckt hat, ist er vom Film
fasziniert, seinem Kindheitstraum. Er lernt eine Menge Stars kennen, besonders
die älteren, von denen er was lernen kann, haben es ihm angetan. Engere Freundschaft
schloß er unter anderm mit Katherine Hepburn und dem inzwischen verstorbenen
Cary Grant, sowie mit Marlon Brando, der noch heute zu seinen wenigen
Vertrauten zählt. Auch mit Henry Fonda freundete er sich an, obwohl der ihn
anfangs gar nicht mochte. Henrys Tochter Jane hatte sie bekanntgemacht. „Dad
war auch so selbstquälerisch gewissenhaft und scheu im Leben, und er fühlte
sich nur wohl hinter der Maske einer Filmrolle. Er konnte nur aus sich
herausgehen, indem er ein anderer wurde. Mit Michael ist das ganz genauso. Er
erinnert mich an ein verwundetes Tier. Er ist außerordentlich zerbrechlich.“
Jane Fonda stand Michael damals nahe. „Seine Intelligenz ist intuitiv und
emotional, wie die eines Kindes. Wenn einem Künstler diese Kindlichkeit verlorengeht,
versiegt sein kreativer Saft. Darum baut Michael eine Kunstwelt um sich herum,
die seine Kreativität beschützt.“ Sie sagt schlicht: „Er ist ein Wunder.“
Während
er zwar in Hollywood neue Bekanntschaften sammelt, igelt er sich doch immer
mehr zuhause ein. Er verbringt ganze Tage in seinem abgedunkelten Zimmer vor
dem Fernseher oder vorm Heimkino. „Ich würd gern alles mögliche machen, auf Bäume
klettern oder nur so herumlaufen, aber alles, was wir tun, kommt in die Presse
oder ins Fernsehen. Also bleibt man den ganzen Tag in seinem Zimmer. Wenn man
ein Entertainer ist, dann wollen die Leute alles von einem. Sie reißen dir die
Haare aus und treten die Absperrungen nieder. Es kann ganz schön angstmachen.“
Es ist aber wohl auch so, daß ihn seine Einsamkeit, wenn er sie mal nach außen
durchbricht, von innen gleich wieder zurückholt. „Die Arbeit an Off The Wall war eine der schwersten
Zeiten meines Lebens. Ich hatte damals wenig Freunde und fühlte mich sehr
isoliert.“
Tja,
wenn du ein Entertainer bist, dann weißt du eben nie, wer wirklich dein Freund
ist... Nicht, daß die Leute im Showbiz alle einen schlechteren Charakter hätten
als in anderen Berufen. In Hollywood ist es nur so, daß es keine Bekanntschaft
gibt, die einem nicht irgendwann mal nützlich werden kann. Jedem, dem man nützen
kann, kann man ebensogut schaden... Aber
was sind das auf die Dauer für Freundschaften, wo immer schon der eigne Vorteil
mit im Spiel ist? Dieses Gift frißt sich bis in die Familien hinein. Michael
merkt es inzwischen.
‚Ja,
das Problem haben aber alle in Hollywood. Wenn deshalb gleich jeder zum
Eremiten würde...!‘
Sicher,
aber alle andern hatten eine Zeit, wo sie noch keine Stars waren. Und da kennen
sie auch immer noch ein paar Leute, die nicht ganz so tief im Sumpf stecken wie
sie. Doch nicht Michael Jackson. Den hat jeder schon immer als Star gekannt, er
war noch nie irgendjemandes Seinesgleichen. Er kann niemanden kennenlernen, der
nichts von ihm will; außer alternden Filmstars.
Und
außer denen, die von jeher seine glühendsten Verehrer sind, die Kinder. Aber
das soll ihn noch teuer zu stehen kommen.
Vorläufig
ist seine liebste Ausflucht immer noch die Bühne. Und nach dem großen Erfolg
von Off The Wall steht erst einmal
der zweite Teil der Destiny-Konzerttournee
auf dem Plan, der ihn nach Europa und Afrika führen wird. „Die Bühne ist die
einzige Stelle, wo ich auflebe. Ich sage mir ‚Das ist es, hier bin ich zuhaus,
hier gehöre ich hin, hierher wollte Gott mich haben‘. Ich fhle mich so frei und
ungebunden auf der Bühne. Als ob ich zu allem fähig wäre. Der Auftritt ist
besser als alles, was ich mir sonst vorstellen kann. Ja, ich bin regelrecht bühnensüchtig.
Wenn ich nicht da oben stehe, fehlt mir wirklich was. Ich mach dann irgendwie
dicht.“
Aber
nicht jeder Auftritt ist so gut wie ein anderer. Jedenfalls nicht die Destiny-Tour mit seinen Brüdern, zu der
ihn sein Vater noch hatte zwingen können. Denn immernoch war er ja Michaels
Manager. Michael liebt die Bühne und haßt Tourneen. Das Leben in Hotelzimmern
hat er nie gemocht. Wohl hat er nie eine Anstrengung gescheut, wenn sie kreativ
war. Aber auf Tournee gelten die meisten Anstrengungen der Routine. Auch melden
sich erstmals gesundheitliche Probleme. Während der Arbeit an The Wiz hatte er seinen Bruder Jermaine
auf Long Island besucht und dort am Strand einen Erstickungsanfall erlitten.
Ein nervöses Symptom? Jedenfalls stellten die Ärzte in dem Krankenhaus, in das
er gebracht wurde, eine bedenkliche Verengung des Brustkorbs fest. Eigentlich dürfe
er sich das Arbeitspensum, nach dem er so süchtig ist, gar nicht zumuten. Während
der Destiny-Touren müssen denn auch
wiederholt Konzerte abgesagt werden - Michael ist krank. Aber er hat wohl auch
nicht viel Lust gehabt.
Ach
nein, ganz so zurückgezogen ist Michael Jacksons Privatleben in diesen Jahren
doch nicht. Er ist ja immer noch bei den Zeugen Jehovas (obwohl er sich erst
1981 taufen läßt). Ganz nach Vorschrift steht er an Straßenecken und verkauft
den Wachtturm. Und welche Hausfrau
liebt sie nicht, wenn sie des Sonntags vormittags, wenn gerade der Braten in
der Röhre ist, an der Türe klingeln? Das alles macht Michael Jackson auch,
treppauf treppab. Wie soll das denn gehen - ein allbekannter Popstar als
Missionar?! Na, maskiert natürlich, Michael bekehrt die Menschen als actor; Schauspieler; Komödiant. „Aber
die Kinder haben mich immer erkannt“...
Und
dann entwickelt er eine neue Leidenschaft. Durch einen Hinterausgang stielt er
sich aus Hayvenhurst und eilt immer, immer wieder nach Disneyland! Ja wirklich, immer wieder. Hat er denn nicht irgendwann
alles ausprobiert, wird er‘s nicht irgendwann leid? Aber wegen der Attraktionen
geht er doch gar nicht hin. Es ist wegen der Kinder. „Ich lasse mich gerne von
ihren Reaktionen anregen, wenn ich ihrem Vergnügen, ihrer Freude zusehe. Ich
gehe nach Disneyland, um mir dort meine tägliche Dosis Inspiration zu holen,
und wenn ich dann zurückkomme, bin ich zu allem bereit. Den besseren Teil
meines Erfolges verdanke ich der Inspiration durch die Kinder. Sie geben mir
die Energie.“ Es ist also nicht bloß das Bedürfnis nach uneigennütziger
Gesellschaft, das ihn zu ihnen treibt: die Suche nach Leuten, denen er trauen
kann. Er fühlt sich ihnen auch sonst seelenverwandt. Und das sind die beiden Stücke,
aus denen Freundschaft gemacht ist.
Aber
Freundschaft ist ja nicht alles. Es gibt anspruchsvollere zwischenmenschliche
Verhältnisse. Was ist damit? Zeitweilig sah man Michael Jackson in Begleitung
von Tatum O'Neal, die in fast noch kindlichem Alter zum Filmstar geworden war.
Später hatte er zu Brooke Shields, der Hauptdarstellerin der Blauen Lagune, ein ähnliches Verhältnis.
Wie intim sie waren? Da wird einiges gemunkelt... Im März 1988 gab er eines
seiner raren Interviews. Die Reporterin fragt ihn geradezu: „Kinder, na schön.
Aber was ist mit Heiraten, mit eigenen Kindern?“ Er stutzt; dann: „Keine
Ahnung... Wirklich - keine Ahnung!“ Aber in seiner Autobiographie, die drei,
vier Wochen später in die Buchläden kam, hat er sich dann doch geäußert. „Die
Sachen, die ich mit Millionen von Menschen teile, sind nicht die Art Sachen,
die man mit einem einzelnen Menschen teilt. Viele Mädchen wollen wissen, was
mich treibt - warum ich so lebe, wie ich lebe, warum ich das mache, was ich
mache -, und versuchen, in meinen Kopf zu sehen. Sie wollen mich von meiner
Einsamkeit erlösen, aber sie versuchen es so, daß ich glauben muß, sie wollen
meine Einsamkeit mit mir teilen - was ich keinem wünschen kann. Ich glaube, ich
bin der einsamste Mensch der Welt.“ So redet die Schwermut, die in Ruh gelassen
sein will.
Off The Wall war noch nicht in den
Läden, da hatten die Brüder schon mit der Arbeit an ihrem nächsten Gruppenalbum
begonnen. Triumph erscheint im Herbst
1980. Es klingt nach Destiny, nicht
nach Off The Wall. Die Jacksons
machen inzwischen wieder Funk, nicht Disco; freilich auch in dem Sinn, daß die
Melodik zu wünschen läßt - oft bleibt es bei einer Art Sprechgesang. Gehalten
hat sich von den Liedern dieses Albums eigentlich nur Can You Feel It, eine allgemeine Versöhnungspredigt in einem
bombastischen Gospel-Ton - aber auch schon ein bißchen Kinderhymne. Weniger
wegen der Musik als wegen des von Michael selbst produzierten Video-Clips Triumph, dem das Lied unterlegt wurde
und der für damalige Verhältnisse avantgardistische Special effects verwendete.
Während
der darauffolgenden Triumph-Tournee kommt es zu einer neuen Jacksonmania. Die fünf
spielten ihre unmittelbaren Konkurrenten, die Gruppe Earth, Wind & Fire, mühelos an die Wand. Der Erfolg war so überzeugend,
daß Motown sich entschloá, die ersten drei LPs der Jackson5 sowie Michaels
Soloalben Got to Be There und Ben neu aufzulegen. Doch keine
solistische Darbietung von little Michael
of the Jackson5 hatte je so durchgeschlagen wie Off The Wall. War nicht die Familienband zu einem Klotz an seinem
Bein geworden? Sollte er sich nicht ganz auf seine Solokarriere konzentrieren?
Michael war unschlüssig. Auf entsprechende Fragen antwortet er ausweichend. Auf
jeden Fall braucht er ein besseres Management; Profis, keine Amateure (die mehr
an sich als an ihn denken). Das andere würde sich finden.
Bei
CBS trifft er die richtigen Leute. Da ist zuerst der junge Steueranwalt John
Branca, der dem Boß Walter Yetnikoff nahesteht; und natürlich Yetnikoff selbst,
den Michael inzwischen ganz von sich überzeugt hat. Und als dritter im Bunde
der etwas zwielichtige Werbeleiter der Plattenabteilung von CBS, Frank Dileo,
der Stars wie Meat Loaf, Cindy Lauper und Boy George großgemacht hatte.
Der
als Klatschmaul verschriene Musikjournalist Randy S. Taraborelli veröffentlichte
1992 eine Michael-Jackson-Biographie unter dem Titel The Magic and the Madness, Magie und Irrsinn. Sie handelt aber vor
allem von Michaels Talent als Geschäftsmann; genauer gesagt, von den Leistungen
John Brancas und Frank Dileos. Nach Taraborelli ist Michael zwar etwas
sonderbar, aber längst nicht so, wie man es die Öffentlichkeit glauben macht.
Das verrückte Image, das er sich gegeben habe, sei vielmehr eine Geschäftsidee
von Frank Dileo gewesen. Er beschreibt das verzweigte kommerzielle Imperium,
das John Branca rund um Michaels Firma MJJ
Productions aufgebaut hat - hebt aber hervor, welchen Wert der ganz und gar
nicht weltfremde Popkünstler darauf legt, jederzeit selbst das Heft in der Hand
zu behalten: control! Taraborelli zeichnet
das Bild eines sonst fast stinknormalen, aber genialen und mit allen Wassern
gewaschenen Finanzjongleurs. Das sei zwar auch nicht der „ganze“ Michael
Jackson, aber doch seine unbekannte „andere Seite“... Wahrscheinlich übertreibt
er seinerseits, doch alle, die Michael geschäftlich kennengelernt haben,
bestätigen: In diesen Dingen ist er kühl und nüchtern. Da hat er mit Leuten zu
tun, die ihren Vorteil suchen. Rührseligkeit ist nicht am Platz.
Übrigens
sind die Verflechtungen der diversen Jackson-Unternehmen wohl noch
undurchsichtiger als sein Privatleben. Taraborellis Buch ist interessant, aber
vielleicht auch nicht verläßlicher als die sonstigen Mutmaßungen der
Klatschpresse.
(Von
Taraborelli stammt allerdings auch der Satz: „Geld interessiert ihn überhaupt
nicht.“)
Das
Jahr 1982 bringt Michael wieder ins Filmgeschäft; aber nur mittelbar. Er soll
die Geschichte von Steven Spielbergs Welterfolg E.T. für die Schallplatte nacherzählen - Quincy ist der Produzent. „Wenn
E.T. nicht zu Elliott gefunden hätte,
hätte er zu Michael gehen müssen“, begründet Spielberg seine Wahl. Er hatte ihn
kurz zuvor in Hollywood kennengelernt und zählt bis heute zu seinen Freunden. „Michael
ist der letzte lebende Unschuldige, der sein Leben voll unter Kontrolle hat.
Ich kenne niemand, der ist wie er. Er ist ein emotionales Sternenkind.“ Die
Aufnahmearbeiten mit Quincy beginnen im Herbst. Michael war von dem Film tief
bewegt. Er ist furchtbar sentimental. Bei den Aufnahmen mußte er immer wieder
heulen, wie das kindliche Publikum unten im Saal. Quincy und Spielberg
beschlossen, seine Schluchzer auf der Platte zu lassen. The E.T. Storybook wurde ein Verkaufsschlager.
Spielberg
ermutigte Michael in seinem Wunsch, zum Film zu gehen. Ebenso seine Freundin
Jane Fonda. Es wird kolportiert, wie sie eines Tages in seinem brandneuen Rolls
Royce saß und verzweifelt nach einer passenden Rolle für ihn suchte. Plötzlich
rief sie: „Ich hab's! Du spielst Peter Pan.“ Michael seien die Tränen gekommen.
„Warum sagst du das?“ „Na, du bist Peter Pan!“ Nach einer Pause murmelte der
verdatterte Sänger: „Weißt du, die Wände in meinem Zimmer hängen von oben bis
unten voll mit Bildern von Peter Pan. Ich identifiziere mich ganz und gar mit
dem Verlorenen Jungen im Nimmerland.“
Das
Leitmotiv der größten Künstlerkarriere aller Zeiten ist angeschlagen: der
ungezogene Junge, der sich weigert, erwachsen zu werden. Peter Pan wird ihn
nicht mehr loslassen. Doch im Film gespielt hat er ihn bislang nicht. Steven
Spielberg hatte Michael ursprünglich für seine eigene Peter-Pan-Version
vorgesehen, aber lange Zeit kam nichts zustande, weil sich die Erben des
Buchautors James Barrie querstellten. Als 1991 schließlich Hook in die Kinosäle kam mit Dustin Hoffman als finsterem
Piratenkapitän, da spielte ein anderer den Peter. Na gottseidank! Peter Pan als
Familienvater? Das konnte ja nicht gutgehen, nichtmal bei Spielberg. Hook ist herzlich schlecht. Daß aber The Real Peter Pan auf seiner
Neverlandranch dieselbe Nummer einmal im wirklichen Leben ausprobieren würde,
wer hätte das geahnt...
Neben
den Aufnahmen für die E.T.-Platte
arbeiten Michael und Q bereits an einem neuen Album. Es sollte Starlight heißen. Als Trumpfkarte hatte
Michael sich etwas ausgedacht: ein Duett mit seinem neuen Freund Paul McCartney!
Für ihn hatte er das Lied The Girl Is
Mine geschrieben, eine seichte Sache, aber ein Pendant zu Girlfriend, Pauls Beitrag zu Off The Wall... Sie hatten das Stück
bereits im März 1982 in Los Angeles aufgenommen. Ein weiteres Duett der beiden,
Say Say Say von McCartney, sollte auf
dessen Album Pipes Of Peace
erscheinen. Michael, der sich inzwischen auch mit Pauls Ehefrau Linda
angefreundet hatte, lernte viel von den beiden. Mehr, als McCartney und den
andern beiden überlebenden Beatles recht sein konnte! Paul hatte nämlich
begonnen, Copyrights für Popsongs aufzukaufen, und erzählte Michael, wieviel
Geld man damit verdienen kann. Als sein gelehriger Schüler 1985 erfuhr, daß der
sogenannte ATV-Katalog zum Kauf
angeboten wurde, zu dem auch... die meisten Stücke von John Lennon und Paul
McCartney gehörten - da zögerte er nicht lange, bot mit, und stach mit einem
Angebot von 47,5 Mio. $ den Ex-Beatle aus. Das hat wohl ihre Freundschaft eine
zeitlang getrübt.
Im
Sommer 1982, während Michaels fieberhafter Arbeit an E.T. und seinem neuen Album, spitzen sich die Spannungen im Hause
Jackson dramatisch zu. Katherine läßt sich wiedermal scheiden. Wegen ehelicher
Untreue natürlich, aber diesmal auch wegen Joes windigen Finanzgebarens.
Genauer gesagt, das Ehepaar Jackson ist so gut wie pleite. Joe muß die Hälfte
des Hauses in der Hayvenhurst Alley an Michael verkaufen - für eine halbe Mio.
$. Natürlich zieht Joe nicht aus, natürlich läßt sich Katherine nicht scheiden.
Michael läßt die alte Nullachtfuffzehn-Villa abreißen und an ihrer Stelle ein
riesiges Herrenhaus im Tudor-Stil errichten. Nein, eine bescheidene Hütte ist
es nicht; der Neubau soll ihn drei Mio. $ gekostet haben. Aber vieles, was da
sonst so rumsteht in Hollywood und Beverley Hills, ist protziger.
Doch
warum zieht Michael Jackson, der wieder vergeblich auf die Scheidung und auf
Joes Abgang gehofft hatte, nicht selber aus? (Inzwischen wohnen außer den
Eltern nur noch die Schwestern LaToya und Janet dort.) „Wenn ich jetzt
ausziehe, werd ich sterben vor Einsamkeit. Die meisten Leute, die zuhause
ausziehen, gehn jede Nacht in die Disco. Sie haben jede Nacht Gesellschaft, sie
laden sich Freunde ein. Aber all das tu ich ja nicht. Wirklich, ich würde vor
Einsamkeit sterben.“ Und da bleibt er denn doch lieber bei den Eltern.
Allerdings
ist er jetzt selber Hausherr. Er baut seinen Privatzoo aus: Außer seiner Boa
constrictor namens Muscles, die er
durch einen gleichnamigen Top-Ten-Hit für Diana Ross berühmt gemacht hatte,
sind da jetzt die beiden Lamas Lola und Louie, eine Ziege namens Mr. Tibbs, die
Giraffe Jabbar, ein paar Hirsche und einige Pfauen... Und außerdem verwandelt
er das Anwesen in einen Rummelplatz, eine Art Klein-Disneyland. Und hierher
kann jetzt auch er seine Freunde einladen. „Ja, der Grund, warum ich so gerne
in diesem Haus wohne“, erzählt er einem Besucher, der heimlich ein Tonband
mitlaufen läßt, „ist, daß ich hier mit Kindern zusammensein kann, daß sie
hierherkommen können.“ Denn „mit Kindern zusammensein ist magic. Wenn ich magic
sage, dann meine ich Wunder, Aufregung, das Unerwartete, einfach Entfliehen...“
Ach,
während der Arbeit an seinem neuen Album wird er noch oft Gelegenheit haben,
vom Entfliehen zu träumen! Daß ihm CBS im Nacken sitzt und einen viel zu engen
Abgabetermin aufdrücken will - grademal drei Monate! -, ist noch das wenigste.
‚Michael und Abgabetermin, das paßt nicht zusammen‘, sagen nicht nur seine
Mitarbeiter, sondern auch seine gedulderprobten Fans, und selbst CBS wird sich
schließlich daran gewöhnen... Nein, er hat kreative Probleme. Und außerdem hat
er das Gefühl, daß man ihn hängenläßt. Off
The Wall war nur der Anfang gewesen, jetzt ging es erst richtig los. Zu
seiner tiefen Enttäuschung hatte er für sein erstes eigenes Album nur einen
einzigen Grammy - die jährliche Auszeichnung der amerikanischen Schallplattenindustrie
- erhalten, und zwar als „bester Rhythm&Blues-Sänger“. Erst war er
beleidigt, dann wütend. Das nächste Album mußte alles Dagewesene in den
Schatten stellen. Schon als kleiner Junge habe er geträumt, die meistverkaufte
Schallplatte aller Zeiten zu machen, erzählt er in Moonwalk. Jetzt war die Zeit
gekommen! Aber Quincy Jones teilte nicht seine Zuversicht. Off The Wall hatte alle Erwartungen übertroffen, auch seine. Daß
sich solch ein Erfolg wiederholen ließe, glaubte er nicht. „Wärstt du sehr enttäuscht,
wenn sich das neue Album nicht so gut verkauft wie Off The Wall?“ hat er Michael gefragt. Michael war gekränkt. „Die
Leute sehen einfach nicht, was ich sehe. Sie haben zuviele Zweifel. Man kann
nicht sein Bestes geben, wenn man an sich zweifelt. Wenn man nicht selber an
sich glaubt, wer dann? Es ebensogut zu machen wie beim letztenmal, ist nicht
gut genug. Das ist die Einstellung ‚Nimm mit, was du abbekommst‘. Dabei braucht
man sich nicht anzustrengen, da muß man sich nicht weiterentwickeln.“
Manchesmal
war er niedergeschlagen und rannte davon aus den Westlake Studios - zu den Leuten, die ihm am liebsten sind. „Dann
schnapp ich mir mein Rad und fahre zu irgendeinem Schulhof, bloß um unter
Kindern zu sein. Wenn ich dann ins Studio zurückkehre, könnte ich Berge
versetzen. So wirken Kinder auf mich. Es ist magic.“
Auch
mit der eigenen Leistung war Michael nicht zufrieden. „Ich bin ein
Perfektionist, ich arbeite, bis ich zusammenbreche“, denn „jeder einzelne Song
muß so gut sein, daß man ihn auch als Single rausbringen kann.“ Doch als dann
das Album fertigwar, das inzwischen Thriller
hieß, und sie es sich im Studio anhörten, da „klang es so beschissen [scrappy], daß mir die Tränen kamen. Ich
sagte meinen Leuten: ‚Wir werden es nicht veröffentlichen. Ruft CBS an und sagt
ihnen, daß sie dieses Album nicht bekommen.'“ Bei der Abmischung der
verschiedenen Soundtracks hatte man des Zeitdrucks wegen - The E.T. Storybook war auch noch nicht
fertig - gepfuscht. Es mußte alles neugemacht werden... CBS hatte keine Wahl.
Sie mußten den Termin um zwei Monate verlängern.
Am
1. Dezember 1982 wurde Thriller
ausgeliefert. Es wurde das meistverkaufte Album aller Zeiten. Bis heute wurden
weltweit gut siebenundvierzig Millionen Platten verkauft. Seither kämpft
Michael Jackson wie ein Besessener gegen die Rekorde an, die er selbst
aufgestellt hat. Vor ihm ist keiner mehr.
Einen
Monat vor Erscheinen des Albums war als Auftakt die Single The Girl Is Mine in die Läden gekommen - das Duett mit Paul
McCartney. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Besetzung die Neugier des
Publikums erregte. Und das war auch nötig. Denn wiedermal befand sich der Plattenhandel
in einer Absatzkrise; wegen der wirtschaftlichen Rezession, aber auch wegen der
eben aufkommenden Video-Spiele, die das Entertainment seither nachhaltig
revolutioniert haben. Da war es besonders schwer, Thriller zu einem Verkaufsschlager zu machen.
Was
dann folgte, war eine wahre Supernova der Unterhaltungsindustrie. Es begann der
größte Siegeszug um den Erdball, den je ein Künstler gefeiert hat - vergleichbar
allenfalls mit dem Auftreten von Charly Chaplin am Anfang des Jahrhunderts. Der
Triumphmarsch hält bis heute an. Was ist an Thriller
so Besonderes?
Hier
ein Wort in eigener Sache. Der Verfasser dieser Zeilen ist kein Jacko-Fan der
ersten Stunde. Ich habe Unterhaltungsmusik nie gemocht. Ich habe mir überhaupt
erst 1993 eine Scheibe von Michael Jackson zu Ohren geführt - veranlaßt durch
ein ganz außermusikalisches Ereignis. Das war die Epoche von Dangerous. Über Nacht wurde der Liebhaber
Brahms'scher Kammermusik zu einem Anhänger des zynisch-sentimentalsten
Funk-Soul, den es je gab. Ich halte nicht Thriller
für Michael Jacksons genialstes Werk, sondern Dangerous. Ich glaube, rein musikalisch ist das Erdbeben, das Thriller ausgelöst hat, gar nicht zu
verstehen.
Unter
den gerademal vierzig Minuten Musik - das absolute Minimum, das man den Käufern
einer LP zumuten kann - finden sich nur zwei wirklich starke, allerdings sehr
starke Stücke, Billie Jean und Beat It; beide von Michael verfaßt. Dann
sind da noch Wanna Be Startin' Somethin',
das erste ‚gültige‘ Beispiel von „Jackson-Funk“; und das vieldeutige Human Nature von der Gruppe Toto mit
seiner eigenartig suggestiven Melodie. Der Rest ist, im Ernst, nicht der Rede
wert - auch nicht das Titelstück, das ohne den dazugehörigen Tanz- und
Musik-Kurzfilm längst vergessen wäre.
Konnten
aber Billie Jean und Beat It allein den Durchbruch von Thriller begründen? Oder besser: wenn
ja, warum? Weil sie „einfach mal sehr gut sind“? Das ist keine Erklärung. Es
gibt nicht nur in der E-, sondern auch in der U-Musik gute Stücke, die nicht
den Erfolg haben, den sie verdienen; jedenfalls nicht beizeiten. Es muß noch
etwas hinzugekommen sein.
Es
ist das völlig neue Bild, das nicht nur Michael selbst, sondern, durch Michael,
die ganze Unterhaltungsmusik von sich gegeben hat. Und in diesem Bild kam ein
kultureller Wandel zum Ausdruck. Musikalisch gesehen, sind beide Stücke perfektester
Crossover; gleichzeitig blütenweißer Rock'n'Roll und pechschwarzer Soul-Funk;
ein schwerer Beat, der an Eindeutigkeit nichts zu wünschen läßt, und wilde
Synkopen; polyrhythmisches Schweben und klare melodische Figur. „Bevor ich Beat It schrieb, hatte ich mir vorgenommen,
die Art Rocksong zu schreiben, den ich mir selber kaufen würde, der aber
zugleich etwas ganz anderes sein sollte als die Rockmusik, die man zu jener
Zeit im Radio hören konnte.“ Eine der damals populärsten Rock-Bands führte den
programmatischen Namen Middle Of The Road
- und das bezeichnete eine musikalische Richtung, die von allem ein bißchen, und
darum nichts richtig brachte; für jeden etwas ist für die meisten zu wenig. Das
ist nicht Crossover, sondern laues Zeug. Davon unterschieden sich Billie Jean und Beat It radikal. Sie sind „richtig“ Rock und „richtig“ Soul, und
doch beides zugleich. Nicht für alle ein bißchen, sondern für jeden volles
Programm. Michael unterstrich es, indem er sich für das obligate Gitarren-Solo
in Beat It den Hard-Rocker Eddie Van
Halen holte (der für diese Mitarbeit prompt in seinem Milieu Ärger bekam).
Die
beiden Kernstücke waren also geeignet, in vielen verschiedenen musikalischen
Gemeinden ihre Hörer zu finden. Aber für ihre nachhaltige Wirkung war mehr nötig.
Und das war Michael Jacksons spektakulärer Angriff auf das traditionelle
Halbstarken-, Sex- und Macho-Image der Rock- und R&B-Musik. Seit den fünfziger
Jahren dominierte den Markt für Unterhaltungsmusik die tanzwütige Generation
der Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen. Ihrem halbstarken Lebensgefühl mußte das
Bild der - weißen wie schwarzen - Pop- und Rockstars entsprechen. Der Urtyp war
Jerry Lee Lewis, Ende der Fünfziger Elvis Presleys schärfster Konkurrent um den
Titel des King of Rock'n'Roll. Ein Wüstling,
ein unerzogener Flegel, ein lauter Sexprotz mit unvermeidlicher Whiskyflasche
in der Hand. Und dabei voll jämmerlichem Selbstmitleid nach dem Motto „keiner
hat mich lieb“. Der ewige Halbstarke, der sich in der Pose des Rebellen gefällt,
ohne daß man immer wüßte, wogegen da rebelliert wird; denn darauf kommt es auch
nicht an, sondern auf - die Pose.
Billie Jean führt einen radikal
anderen Gestus in den Starkult ein. Michael ist ausdrücklich kein Macho, der
mit seinen Siegen über die Weiber prahlt, in Beat It – „Renn weg!“ - ist er ausdrücklich kein kraftstrotzender
Haudrauf. Billie Jean is not my lover,
er hat sie nicht ‚gehabt‘, er hat sich entzogen. In Beat It ist er nicht einmal mutig: You better run; you better do what you can.
Don't wanna see no blood. Don't be a macho man!
Und
das kommt an. Hat sich das halbstarke Publikum geändert ? Nein. Michael Jackson
bringt ein anderes Publikums mit auf den Markt, sein Publikum: die Kinder. „Beat
It war auf den Geschmack von Schulkindern zugeschnitten. Es hat mir immer
Spaß gemacht, Stücke zu schreiben, die Kindern gefallen würden. Es bereitet mit
Freude, für sie zu komponieren, und ich weiß, was sie mögen, weil sie ein sehr
anspruchsvolles Publikum sind. Man kann sie nicht zum Narren halten. Für mich
sind sie immer noch das wichtigste Publikum, weil sie mir wirklich viel
bedeuten. Wenn ein Song ihnen gefällt, ist er ein Hit, egal wo er in den Charts
steht.“
Über
das Geheimnis von Michael Jacksons Ausstrahlung sind dieselben Worte gesagt
worden wie über Elvis Presley: Es sei das verwirrende Miteinander von
aufreizender Erotik und ungebrochen jungenhafter Unschuld. Und doch trennen sie
Welten.
Der
amerikanische Musiksoziologe Albert Goldman, der sich bei den Fans durch eine
garstige Elvis-Biographie verhaßt gemacht hat, ist von Michael fasziniert: „Seine
magische Aura ist das Wesentliche an Jacksons Attraktivität, denn weder beruht
sein Glanz und Glamour - wie bei all seinen Vorgängern - auf dem Sex Appeal,
noch besteht seine Anhängerschaft hauptsächlich aus Jugendlichen, die mit Frühlingsspielen
beschäftigt sind. Michael Jackson ist der erste Held einer Jugendkultur, die
wesentlich Kiddie Kulture ist. Er
lebt in der unschuldigen Welt der Jungen und Mädchen kurz vor der Pubertät. Nie
zuvor haben Kinder dieses Alters einen bedeutsamen Einfluß auf die Pop-Kultur
ausgeübt. Nie zuvor bildeten sie den ausschlaggebenden Pop-Markt.“
Kinder
waren es, die den größten Star aller Zeiten kreiert haben. Wäre das nicht an
sich schon ein zivilisatorisches Phänomen, das die Aufmerksamkeit aller
Soziologen und Kulturkritiker verdient? Nichts davon. Keiner will es wissen. Wo
soviele Kinder mitspielen, das kann nichts Ernstes sein. Das Interesse am Phänomen
Michael Jackson beschränkt sich bis heute auf Klatschblätter und
Skandalreporter. Und denen war seine plakative Identifikation mit den Kindern
noch nie ganz geheuer. War sie überhaupt echt? Oder doch nur ein
Reklametrick...! Aber dann sah es so aus, als sei sie zu echt - und auf einmal redeten sie monatelang von nichts anderem.
Bei
dieser Gelegenheit noch ein Wort zu Jerry Lee Lewis. Dessen kometenhafte
Karriere nahm 1958 schlagartig ein Ende, als der Sexprotz ein Verhältnis zu
einem dreizehnjährigen Kind hatte. Es war ein Mädchen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen